
| Msg # 18 of 5072 on ZZDE4410, Saturday 8-15-25, 1:39 |
| From: MARTIN KLAIBER |
| To: YAZDEGIRD@GMX.DE |
| Subj: Re: Vor 35 Jahren: RADCUANA (2/2) |
[continued from previous message] Berlin kann einem ja im Grunde nichts passieren. Wenn man einen Defekt hat, schiebt man das Rad zur n€chsten U- oder S-Bahn-Station und f€hrt nach Hause. €berall gibt es L€den, wo man sich verpflegen kann und €berall gibt es Bankautomaten, wo man Geld holen kann. Ich wusste nicht, was mich in den unbekannten L€ndern Brandenburg und MeckPomm erwarten w€rde. Das war aufregend, aber auch be€ngstigend. >> Es kommt nicht darauf an, wie weit man f€hrt, oder dass man in >> exotische L€nder f€hrt. Das Erlebnis kann auch direkt vor der >> Haust€r liegen. Eine der sch€nsten Touren, die ich je gemacht >> hatte, war beispielsweise eine Rundreise durch Brandenburg entlang >> der Havel. Durch D€rfer, in denen die Zeit stehengeblieben ist. Da >> f€hlt man sich genauso aus der Zeit gefallen wie in einem Dorf auf >> Sardinien oder einer kleinen griechischen Insel. > Aber das sind halt nur Illusionen... Warum Illusionen? Das Leben dort ist doch real. > das Leben dort (also in den brandenburgischen D€rfern entlang der > Havel) ist genauso eingezw€ngt wie €berall sonst in diesem > Drau€en-nur-K€nnchen-Radfahrer-absteigen-Wo-k€men-wir-denn-da- in-Ich-zeig-Sie-an-Land > in Hunderttausende von Gesetzes- und Verordnungsparagraphen, die > zunehmend jeden Atemzug bis ins Detail regeln... In den D€rfern, die ich meine, gibt es keine Caf€s, wo es drau€en nur K€nnchen gibt, dort gibt es einfach nichts! Keine Caf€s, keine L€den, keine Kneipen, keine Schulen, keine €rzte, keine Banken. Wenn man Gl€ck hat, f€hrt zwei Mal am Tag ein Bus in die n€chst gr€€ere Stadt, und das meist nur w€hrend der Schulzeit. Die Menschen, mit denen ich dort gesprochen habe, waren gr€€tenteils verbittert, weil es das alles, was weggefallen ist, zu DDR-Zeiten noch gab. Es war sch€n f€r mich, dort Rad zu fahren, Leben wollte ich dort nicht, aber seither kann ich den Frust der Menschen dort besser verstehen. Das wirklich Sch€ne an dieser Tour war aber die urspr€ngliche Natur. Und nat€rlich gibt es dort auch touristische oder gr€€ere Orte, wo das oben Gesagte nicht gilt. Ich meine die kleinen D€rfer, wo nur noch die Alten wohnen, weil die Jungen weggezogen sind, weil es keine Arbeit gibt, nur ein bisschen Landwirtschaft, die sich aber auch nicht mehr lohnt, und wo die H€lfte der H€user leer steht und verf€llt. Das gibt es auch in Griechenland oder Italien, aber dort findet man es pittoresk und f€hrt hin, um es zu sehen. Bei uns findet man es trostlos. > und au€erhalb Deutschlands ist das nicht besser, die totale > Verrechtlichung des ganzen Lebens schreitet €berall auf der Welt mit > ungebremstem Tempo voran, Staaten, Religionen, Kulturkreise, das > sind im Grunde alles nur bunt angemalte Gef€ngnisse! Ohne Staat und Kultur h€tten wir Dschungel, das Recht des St€rkeren, Mord und Totschlag. Nein danke. Religion ist ambivalent, aber man darf nicht vergessen, dass religi€se Institutionen fr€her wie heute ein wichtiger sozialer Faktor sind und dort Menschen auffangen, wo Staat und Kultur nicht hinreichen. > Ich will hier raus... aber das geht nicht, indem ich einfach den > Deutschland-Knast mit dem T€rkei-Knast oder Afghanistan-Knast > vertausche! Im Grund willst Du ja in erster Linie aus Deinem bisherigen Leben (oder besser gesagt, aus Deinem Trott) raus, und das geht schon. > Solange ich der bin, der ich bin, kann ich ja nicht mal mein Wohnklo > genie€en (das ist derma€en zugem€llt und vollgestopft, dass es nur vorm > Monitor im Internet zu ertragen ist... Daran kann man ja etwas €ndern. Ich dr€cke Dir die Daumen! Martin --- SoupGate-Win32 v1.05 * Origin: you cannot sedate... all the things you hate (1:229/2) |
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